Ein Ruder Abenteuer jagt das nächste

Herdecker Urgestein Helmut Jürgens (72) erinnert sich an lebhafte Zeiten im Zeichen des Wassersports

Wie es „Auge" Jürgens aus Herdecke in die weite Welt zieht

03.02.2017 - 08:07 Uhr  

Oft auf Regatten unterwegs: Helmut „Auge" Jürgens, der hier in Bled bei einer Siegerehrung für den Deutschland-Achter ein Foto hochhält, war der erste Ruderer des RC Westfalen Herdecke, der in die Nationalmannschaft berufen wurde. Foto: privat

 

Der siegreiche Herdecker Achter stellt sich am 12. September 1962 zum Gruppenbild auf: Dieses Boot um Klaus Walkenhorst (rechts) und Helmut „Auge" Jürgens (neben ihm) hatte gerade Essener Olympiasieger und andere erfolgreiche Ruderer hinter sich gelassen. Foto: Archiv Jürgens

Herdecke. Wenn der Ur-Herdecker Helmut Jürgens auf den derzeitigen Umbau über der Bootshalle am 1929 gegründeten Ruderclub Westfalen blickt, kommen Kindheitserinnerungen hoch. „Ich habe damals Steine geschleppt, als hier anlässlich des 25-jährigen Vereinsjubiläums der Anbau mit den Räumen zum Feiern entstand.“ Mit 14 konnten junge Leute zu jener Zeit erst Mitglied werden, dabei juckte es zuvor schon in seinen Fingern. Die Leidenschaft für das Rudern hält immer noch an. Und der 72-Jährige hat in all der Zeit viel erlebt.

Als Steuermann zu schwer

In der Nachbarschaft der Familie Jürgens wohnten am Bachplatz damals die Böckmanns. Vater Heinrich war der erste Vorsitzende des Ruderclubs, Sohn Rainer war ein Freund von Helmut. Auch Mitschüler animierten ihn, sich mal im Boot zu versuchen. Also gab „Auge“, wie ihn seit Kindheitstagen fast alle nennen, den Radsport auf und sollte zunächst einen Leichtgewichts-Vierer als Steuermann lenken. Doch Helmut Jürgens war zu schwer, also griff er selbst zu den Ruderriemen. Und überhaupt: „Ich mochte schon in jener Zeit die soziale Atmosphäre im Club, etwa durch die Hüttenfahrten ins Sauerland.“ Für den damals 16-Jährigen war dann die Goldmedaille des Deutschland-Achters 1960 in Rom eine Initialzündung. Vor allem der legendäre Trainer Karl Adam aus Vorhalle inspirierte ihn. Als dann 1962 nach der WM in Luzern ein Herdecker Achter mit Helmut Jürgens und Klaus Walkenhorst (der spätere Stadtdirektor Herdeckes und Leiter des Olympiastützpunktes wurde 1964 sein Trainer) in Dortmund ein Boot mit Essener Erfolgsruderern und Olympiasiegern schlug, war der sportliche Ehrgeiz endgültig geweckt. „Auge“ trat in der Folge für viele Vereine an. 1966 wurde er als erster Herdecker Ruderer für die Nationalmannschaft nominiert – weitere sollten folgen. Als Ersatzmann für den Deutschland-Achter schaffte es Helmut Jürgens nicht als Sportler zur WM 1966 nach Bled (Slowenien). „Ich bin dennoch hingefahren. Und nachdem unser Boot erfolgreich durchs Ziel gefahren war, habe ich meiner Frau Gerhild vor Ort einen Heiratsantrag gemacht.“ Die olympischen Spiele 1972 in München rückten immer mehr ins Blickfeld, Jürgens bereitete sich mit Klaus Walkenhorst und Karl Adam („Er war so eine Art Vaterfigur für mich“) vor. Doch das Studium für Medizinische Elektrotechnik in Berlin war ihm wie auch der Familie wichtiger. „Als Aktiver hat mir der letzte Schritt nach ganz oben gefehlt. Sport bedeutete für mich zunehmend eher Spaß.“ Auch und gerade in der Heimat.

Rund 50 000 Kilometer in 58 Jahren

„Um die 50 000 Kilometer dürfte ich in den vergangenen 58 Jahren gerudert sein, ungefähr zwei Drittel davon auf dem Harkortsee.“ Hier war er an der Gründung des übergeordneten Vereins (RC Westfalen, RC Mark, SG Demag) beteiligt, wurde Trainer und führte etwa 1973 die Wetteranerin Doris Teichmann als Juniorin im Leichtgewichts-Einer zum deutschen Meistertitel. Zudem wollte er stets den Breitensport und Rudern für jedermann fördern. Über die Jahre fanden die Eheleute Gefallen daran, zu internationalen Regatten oder zu den Ruder- Wettkämpfen bei olympischen Spielen zu reisen. Dabei schreckten sie weder tagelanger Regen im finnischen Tampere noch ein BeinaheÜberfall in Sevilla ab. „Wir haben uns auch mal im Kuhstall die Zähne geputzt“, berichtet Gerhild Jürgens. Ihr Gatte machte sich in der Ruder- Szene wegen seiner dauerhaften Kopfbedeckung einen Namen als „Mann mit der Kappe“ und berichtete zwischenzeitlich auch mal für den WDR-Hörfunk von wichtigen Rennen. Olympia 1992 verpasste er als Reporter wegen einer Krankheit. 1998 wiederum verschaffte er bei der WM in Köln seiner Frau als Fotografin Zutritt in abgesperrte Zonen. „Der Streckensprecher hat sie sogar als Journalistin ausgerufen“, sagt er. Beide lachen laut los. Beeindruckt kehrte das Paar vom „Head of the River Race“ aus London zurück, wo 400 Achter beim Langstreckenrennen alle zehn Sekunden starten. Regelmäßig besuchten die zwei Herdecker die berühmte Rotsee-Regatta in Luzern, die mit Bled zu ihren Lieblingsorten wurde. 2001 waren sie Ehrengäste des damaligen IOC-Präsidenten Jacques Rogge, was ein Bild in der Rotsee-Zeitung dokumentiert. „Wir haben viele Abenteuer erlebt und tolle Leute kennengelernt oder wiedergesehen.“ Etwa Heinrich Böckmann auf einer Maschsee-Regatta, „wo er mir seine Kappe aus der Gründerzeit des Herdecker Ruderclubs schenkte. Der war noch ruder-besessener als ich“, sagt Helmut Jürgens. „Ruderer sind Traditionalisten.“

Helmut Jürgens hat viele Erinnerungen aus seinem abwechslungsreichen Ruder-Leben gesammelt, etwa auch den Anbau auf dem Herdecker Vereinsgelände. Foto: Steffen Gerber

Text: Steffen Gerber

Quelle: www.waz.de